Umsetzung der mittelfristigen Kapazitätsplanung nach der neuen EU-Verordnung

Die neue Verordnung über die Nutzung der Fahrwegkapazität der Eisenbahn im einheitlichen europäischen Eisenbahnraum

Während wir diese Zeilen schreiben, hat das Europäische Parlament soeben eine Verordnung verabschiedet, welche die Nutzung der Schieneninfrastrukturkapazität verbessern soll. Der Text enthält Änderungen an den Regeln für die Planung und Zuweisung von Eisenbahninfrastrukturkapazität. Ziel dieser Änderungen ist es, eine effizientere Verwaltung der Schieneninfrastrukturkapazität und des Verkehrs zu ermöglichen und dadurch die Qualität der Dienstleistungen zu verbessern, die Nutzung des Schienennetzes zu optimieren, ein grösseres Verkehrsaufkommen zu bewältigen und sicherzustellen, dass der Verkehrssektor vollständig zur Dekarbonisierung beiträgt.

Im Einzelnen umfasst die Verordnung folgende Punkte:

  • allgemeine Regeln für das nationale und internationale Kapazitätsmanagement, die sich an den drei Phasen des vom EU-Eisenbahnsektor entwickelten Projekts "Timetable Redesign for Smart Capacity Management" (TTR) orientieren: Kapazitätsstrategie, Kapazitätsmodell und Kapazitätsangebotsplan
  • Verpflichtung der Infrastrukturbetreiber, gemeinsam einen europäischen Rahmen für das Kapazitätsmanagement zu entwickeln, der besondere Bestimmungen für das Management knapper Fahrwegkapazitäten und für den Fall von Beschränkungen bei Arbeiten am Fahrweg und bei schlechtem Zustand des Fahrwegs enthält
  • Verpflichtungen in Bezug auf Verkehrs-, Störungs- und Krisenmanagement und die damit verbundene grenzüberschreitende Koordinierung
  • ein Rahmen für die Leistungsüberprüfung mit Überwachungsaufgaben für das Europäische Netz der Infrastrukturbetreiber (ENIM) und ein neues Leistungsüberprüfungsgremium
  • die Einführung digitaler Instrumente für ein besseres Kapazitäts- und Verkehrsmanagement.

Während ein harmonisierter Rahmen wie TTR die Rolle der mittelfristigen Planungsprozesse bei den Infrastrukturbetreibern (IB) stärkt, sollte er es auch ermöglichen, eine nahtlose und kontinuierliche Planung zu gewährleisten und die wachsende Kapazitätsnachfrage von Personen- und Güterverkehrsunternehmen (EVU) auf einer knappen Infrastruktur zu erfüllen. In diesem Zusammenhang spielen verschiedene Faktoren wie die Ressourcenzuweisung, die Risikominderung und die Einbeziehung der Beteiligten eine zentrale Rolle bei der Optimierung der Kapazitätsplanungsprozesse.

Dieser Artikel konzentriert sich auf die beiden Phasen Kapazitätsstrategie und Kapazitätsmodell und darauf, wie ein umfassender mittelfristiger Planungsansatz diese kritischen Aspekte berücksichtigen kann, um die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Kapazitätsplanung im Eisenbahnverkehr zu verbessern.

Gemäss der neuen Verordnung werden in der Kapazitätsstrategie (für die Monate M-60 bis M-36) die Erwartungen für die künftige Nachfrage und das Angebot auf der Eisenbahninfrastruktur dargelegt. Sie dient als Instrument für die Kommunikation und Koordinierung zwischen den Beteiligten und enthält Informationen über die Infrastrukturentwicklung und die Nachfrageprognosen. Im Rahmen der Kapazitätsstrategie wird eine strategische Streckenkarte erstellt, in der der geografische Geltungsbereich und die im Falle von Kapazitätseinschränkungen (TCRs) der Infrastruktur zu benutzenden Alternativstrecken festgelegt sind. Die Infrastrukturbetreiber müssen die Kapazitätsstrategie ausarbeiten, veröffentlichen und regelmässig aktualisieren, wobei sie die Antragsteller konsultieren und sich mit anderen IBs abstimmen.

Darüber hinaus sieht die neue Verordnung eine Phase des Kapazitätsmodells (für die Monate M-36 bis M-18) vor, um die Strategie auf der Grundlage der Ergebnisse der Konsultationen zu verfeinern. Es liefert Informationen über die Aufteilung der verfügbaren Kapazität für die verschiedenen Marktsegmente (Art der Schienenverkehrsangebote) und TCRs. Die IB müssen alle Abweichungen zwischen dem Kapazitätsmodell und der Kapazitätsstrategie dokumentieren und sich erneut mit den Antragstellern beraten, wobei sie sich mit anderen IBs abstimmen.

In Übereinstimmung mit diesen beiden Phasen verlangt die neue Verordnung auch objektive Kapazitätsmessungen und Leistungsüberprüfungen auf nationaler und internationaler Ebene. Sie will die Transparenz in diesen Fragen erhöhen, um Vertrauen und Zusammenarbeit zu fördern, was eine fundierte Entscheidungsfindung erleichtert.


Je nach Situation und Bedarf besteht ein gewisser Interpretationsspielraum.

Die Europäische Kommission übernimmt die Führung auf dem Weg zu einem neuen Kapazitätsplanungs- und -zuweisungsverfahren. Nach der Verabschiedung der Verordnung werden die Mitgliedstaaten und IBs diese einhalten müssen. Die Bedürfnisse der europäischen IMs sind jedoch unterschiedlich und können von der spezifischen Situation der einzelnen nationalen Systeme abhängen. Der Geist der neuen europäischen Verordnung folgt dieser Logik und lässt einen gewissen Spielraum für ihre Umsetzung offen.

Die konkreten Anforderungen an die Flexibilität von Güterverkehrsangeboten und/oder TCRs im Rahmen des mittel- bis kurzfristigen Planungsprozesses können verständlicherweise mit der möglichen Form der langfristigen Kapazitätskonzepte kollidieren. Während die Frage der TCRs eine Herausforderung bleibt, die sich zwischen den Netzen je nach dem Gleichgewicht zwischen dem Umfang der Entwicklungsprojekte (CAPEX) und dem Erneuerungs- und Instandhaltungsbedarf (OPEX) oft erheblich unterscheidet, sind die Art, die Form und der verbindliche Charakter der Zugfahrten innerhalb der Kapazitätsstrategie/des Kapazitätsmodells Gegenstand von Interpretationen innerhalb der europäischen Eisenbahngemeinschaft: Sollen es Fahrpläne sein oder nicht? Systematisch oder nicht? Sind sie verbindlich?  Während diese Diskussion noch andauert, haben einige Netze bereits damit begonnen, diese Instrumente in ihre Kapazitätsplanungs- und -managementprozesse einzubinden.

Obwohl die Schweiz nicht Teil der Europäischen Union ist, hat sie beschlossen, ihre Netznutzungspläne (NNPs) als Grundlage für TTR-Kapazitätsstrategien zu veröffentlichen. Die NNPs sind für SBB-Infrastruktur verbindlich und enthalten die verfügbare Kapazität in einem einstündigen systematischen Fahrplan, der eine Spitzenstunde darstellt. Diese NNPs sind die letzten Stufen eines längerfristigen Prozesses, in dem die Ressourcen (Infrastruktur, Anlagen und Rollmaterial) aus einer fahrplanbasierten Netzstrategie abgeleitet und abgestimmt werden, wobei der Fahrplan nicht das Ziel ist, sondern ein Mittel zum Zweck als Teil des Masterplans. Nach dem Grundsatz, dass Infrastruktur, Anlagen und Fahrzeuge aus einem Angebotskonzept abzuleiten sind (d.h., dass die funktionalen Anforderungen die Bedürfnisse eines Kapazitätsplans, im Wesentlichen eines Fahrplans, erfüllen, der zwischen allen Beteiligten im Rahmen eines institutionalisierten iterativen Prozesses vereinbart wurde), sollte dieser Fahrplan in den späteren, nachgelagerten Phasen berücksichtigt werden, da ein Verzicht darauf der Gesamtkapazität des Systems abträglich wäre. Auf diese Weise erfüllt die Schweiz die europäischen TTR-Grundsätze der "halb vorgeplanten Produkte" (fertige Kapazitätsprodukte sowie Restkapazitäten für kurzfristige, massgeschneiderte Bestellungen) und unterstützt damit ihre Planungs- und Netzentwicklungsphilosophie.

In Deutschland soll das “mittelfristige Konzept für eine optimierte Kapazitätnutzung” (mKoK) die Grundlage für das TTR-Kapazitätsmodell bilden. Das mKoK führt als 2-Stunden-Systemfahrplan eine neue Vorstrukturierungsplanung für eine optimierte Kapazitätsauslastung in Zeiten knapper werdender Ressourcen ein und soll Transparenz über die verfügbare Kapazität je Verkehrsart und damit mehr Planungssicherheit für alle Beteiligten im anschliessenden Zuweisungsprozess schaffen, sei es bei Rahmenverträgen oder Ad-hoc-Angeboten. Darüber hinaus entwickelt DB InfraGO mit dem mKoK die wesentlichen Prozesselemente, die für die stufenweise Umsetzung des Deutschlandtaktes, dem fahrplanbasierten Ausbau der Schieneninfrastruktur in Deutschland, notwendig sind.

In Frankreich werden Referenzbetriebspläne (Plans d'Exploitation de Référence: PER) aus Masterplänen (Plans d'Exploitation Émergents: PEE) abgeleitet und bilden die Grundlage für die TTR-Kapazitätsstrategien. Ein PER soll heute nicht mehr jährlich überarbeitet werden, sondern nur noch bei notwendigen oder strukturellen Änderungen des Kapazitätsangebots. Bei den PER handelt es sich um einen zweistündigen, systematischen Fahrplan, gegebenenfalls ergänzt durch einen 24-Stunden-Fahrplan mit Richtwerten für die Art und Anzahl der Züge für jede systematische Trasse. Gegenwärtig begründet der PER weder Rechte noch Pflichten, weder für SNCF Réseau noch für Kapazitätsbewerber. Die Einhaltung der PER für das weitere Verfahren ist jedoch eine gute Praxis, die die Optimierung der Kapazitäten und die Effizienz des Fahrplanentwicklungsprozesses fördert, was letztendlich allen zugutekommt.

Ein weiteres Erfordernis des Prozesses ist der Einsatz von Modellen und Tools, die eine gemeinsame Sprache für Kapazitätsinformationen erleichtern und die Umsetzung von Leistungsindikatoren (KPIs) und Visualisierungen unterstützen, welche die inhärente Komplexität der Kapazitätsplanung und -zuweisung widerspiegeln. Vor diesem Hintergrund hat ein von der Europäischen Kommission finanziertes und von SMA im Auftrag des Rail Freight Corridor North-Sea – Med durchgeführtes MVP-Projekt (Minimum Viable Product) gezeigt, wie Infrastruktur-, Trassen- und TCR-Daten zusammengestellt und wie solche KPIs in einem umfassenden Rahmen berechnet und dargestellt werden können, der von den am TTR-Prozess beteiligten Kapazitätsakteuren über verschiedene Zeit- und Raumbereiche hinweg genutzt werden kann.

Insgesamt ermöglichen diese Instrumente eine bessere und berechenbarere Ressourcenzuweisung für alle Beteiligten: internationale, nationale oder regionale Behörden und Unternehmen (EVUs). Sie tragen dazu bei, Unterstützung aufzubauen, Harmonisierungsprobleme zu lösen und positive Beziehungen im institutionellen Planungsprozess zu fördern.


Navigieren in den seichten Gewässern der mittelfristigen Kapazitätsplanung

Die am mittelfristigen Kapazitätsplanungsprozess Beteiligten, insbesondere die IB, benötigen Methoden und Instrumente, um Kontinuität (z.B. durch kontinuierliche Modellverfeinerung), Konsistenz und Kohärenz über die Prozessphasen hinweg zu gewährleisten. Mit ihren Methoden und Werkzeugen unterstützt SMA bereits SBB-I, DB InfraGO und SNCF Réseau bei den zuvor beschriebenen TTR-Implementierungsfällen auf nationaler Ebene oder dem RFC North-Sea - Med für KPIs und Visualisierungen auf grenzüberschreitender Ebene. Diese Implementierungen sind greifbare Ergebnisse in der europäischen Landschaft und können als Beispiele für andere IB und Schienengüterverkehrskorridore dienen, je nach deren Bedürfnissen und Kontext.

Die komplizierte Aufgabe, nahtlose Übergänge zwischen den verschiedenen Phasen des Kapazitätsplanungsprozesses und eine wirksame Koordinierung zwischen den Beteiligten zu ermöglichen, erfordert eine Fülle von Erfahrungen und Fachwissen. Von der strategischen Voraussicht, die für die langfristige Entwicklung des Netzes erforderlich ist, bis hin zur Finesse, die bei der kurzfristigen Kapazitätszuweisung erforderlich ist, spielt jede Phase eine entscheidende Rolle für das reibungslose Funktionieren des Eisenbahnsystems. SMA bringt ein umfassendes Verständnis, Objektivität und Innovation in die Komplexität des Kapazitätsmanagementprozesses ein, insbesondere im Hinblick auf unterschiedliche nationale und/oder grenzüberschreitende Situationen. Wir sind gerne bereit, Ihre Bedürfnisse und Herausforderungen zu diesen Themen mit Ihnen zu besprechen.