#openviriato wächst aus den Kinderschuhen

Was in der Zwischenzeit geschah

Seit unserer letzten Berichterstattung und dem ersten Aufruf zur Teilnahme an unserer Initiative zur Zusammenarbeit #openviriato sind inzwischen vier Jahre vergangen. In dieser Zeit haben wir zusammen mit unseren Partnern kontinuierlich an der Umsetzung des Programms weitergearbeitet. Dabei haben wir uns zunächst stark auf grundlegende Investitionen, etwa den Ausbau der Algorithmen-Plattform oder den Aufbau eines interessierten Netzwerks in der akademischen Welt konzentriert. Die Algorithmen-Plattform ist von Anfang an mit dem Ziel entwickelt worden, dass sie für viele Use Cases die benötigten Daten bereitstellt, was durch ein abstraktes Datenmodell der Schnittstelle («AID-Modell») realisiert wurde

Das AID-Modell ist ein generisches Domänenmodell. Wegen seiner Generizität war der Entwicklungsfortschritt anfangs zwar zunächst langsamer, dies wird jedoch mittlerweile dadurch mehr als kompensiert, dass langfristig ressourcenschonend gearbeitet wird. Pro Anwendungsfall muss kaum neue Funktionalität entwickelt werden, denn die Basisfunktionalität ist wiederverwendbar. Der Umfang der Algorithmen-Plattform hat mittlerweile einen Zustand der Reife erlangt und die Zusammenarbeit mit erstklassigen Instituten und Universitäten beginnt Früchte zu tragen.

Die Mittel, die SMA in dieses Unterfangen investieren kann, sind im Vergleich mit den grossen Unternehmen in der Eisenbahnindustrie verhältnismässig klein. Dies zwingt uns, einerseits nicht verschwenderisch mit unseren Ressourcen umzugehen und andererseits die vertrauensvolle und langfristige Zusammenarbeit mit Partnern zu fördern, um anwendbare Resultate zu erzielen.

Forschung erfolgreich in die Praxis bringen

Unser Vorgehen bringt Hebeleffekte mit sich: Erstens kann schnell mit dem Prototyping eines Algorithmus begonnen werden, denn die Algorithmen-Plattform beschleunigt die algorithmische Forschung dadurch, dass sie die für die Forschenden benötigte Grundfunktionalität (Daten, Views, Services) bereitstellt und gleichzeitig dem Anwender ermöglicht, auf einem State-of-the-Art Planungssystem die Ergebnisse der Algorithmen zu evaluieren.

Im Gegensatz zu sonstigen in der Forschung gebräuchlichen Ansätzen arbeitet der Nutzer also mit seinem gewohnten Fahrplanungssystem und nicht mit prototypischen GUIs, mit allen dazugehörigen Vorteilen: Robustheit gegenüber Fehleingaben, Stabilität der GUI, Wiederverwendung von Produktivdaten ohne Datentransformationen, -Exporte oder Arbeit auf nur Teilauszügen sowie die Überprüfung der Resultate in den gewohnten Modulen. All dies fördert, die Forschungsresultate schneller in die Praxis zu bringen, denn im Gegensatz zum sonst üblichen Vorgehen kann mittels eines agilen Entwicklungsprozesses mit kurzen Feedbackzyklen auf Real-World-Cases gearbeitet werden.

Zweitens können auch bei einer Produktivnahme von Algorithmen Zeitgewinne und Kostenersparnisse erzielt werden, da nur noch eine View und deren Anbindung an die Algorithmen-Plattform implementiert werden muss anstelle einer kompletten Neuentwicklung eines Datenmodells und einer Datenbereitstellung. Dabei steht für uns nie die Automatisierung um ihrer selbst willen im Zentrum, sondern die präzise Automatisierung einzelner Use Cases eines klar definierten Prozesses.

Nicht alles automatisch: Ein realistischer Fokus kann mittelfristig weiterführen

In den vergangenen Jahren war verbreitet der Versuch zu beobachten, automatisiert nationale Angebotskonzepte zu erstellen. Dieses Vorhaben bedingt eine netzweite Konfliktlösung, was bekanntermassen ein fast sicher nicht in polynomieller Zeit lösbares Problem darstellt. Mittlerweile ist der anfänglichen Euphorie Ernüchterung gefolgt und dieses Unterfangen wurde an einigen Orten schon aufgegeben und wird an anderen mindestens zunehmend mit realistischer Skepsis begleitet. SMA konzentriert ihre Bemühungen zur Automatisierung auf Prozessschritte, die typischerweise in der Mittelfristplanung, also 3 bis 6 Jahre vor Betrieb, anfallen. Dieser Planungshorizont wurde in der Vergangenheit in den meisten Europäischen Ländern, mit der erwähnenswerten Ausnahme der Schweiz, eher stiefmütterlich behandelt. In den vergangenen zwei bis drei Jahren hat sich die Bedeutung der Mittelfristplanung, getrieben teilweise von der FTE/RNE-Initiative «Timetable Redesign for Smart Capacity Management» (TTR), aber auch von nationalen Projekten wie dem «mittelfristigen Konzept optimierter Kapazität» (mKoK) in Deutschland, stark positiv entwickelt.

Mikroskopische Konfliktlösung, aber nur lokal!

Innerhalb unserer Tätigkeit als Berater für die Erstellung grossflächiger Fahrplankonzepte ist es uns zusammen mit unseren Kunden gelungen, mikroskopische Konflikterkennung schon in der Mittelfristplanung einzuführen und mittlerweile zu etablieren. Die manuelle Lösung dieser Konflikte ist aber nach wie vor eine sehr aufwendige und zeitraubende Arbeit, in der kreativem Denken eine eher nachrangige Bedeutung zukommt. Deshalb stellt die Automatisierung der Konfliktlösung in diesem Prozessschritt z.Zt. einen Hauptfokus innerhalb unserer #openviriato Initiative dar. Hierzu sind bereits ein erstes erfolgreiches Praktikum und eine Studienarbeit umgesetzt und eine weitere Diplomarbeit und ein Prototyp «Co-Pilot Konfliktlösung», der die Algorithmen-Plattform mit MoD zusammenbringt, inzwischen gestartet.

Gütertrassensuche ist eine Anforderung

Der zweite Schwerpunkt unserer Forschungstätigkeit liegt in der mesoskopischen Trassensuche. Der Use Case dafür in der Mittelfristplanung besteht vor allem darin, innerhalb freigehaltener Kapazitätsbereiche zahlreiche Gütertrassen zu konstruieren. Auch dies ist für gewöhnlich eine sehr zeitraubende Aufgabe mit wenig Kreativpotential. Das mesoskopische Modell von Viriato ermöglicht es dabei, sehr grosse Problemstellungen zu betrachten und diese in so kurzer Rechenzeit zu lösen, die heutzutage mit mikroskopischen Methoden unerreicht sind. Perspektivisch werden wir Kapazitätseinschränkungen durch Baustellen und Kapazitätsobjekte im Kontext von TTR ebenfalls betrachten. In einem nächsten Schritt werden wir untersuchen, inwiefern die Einschränkung der Trassensuche auf ein mesoskopisches Konfliktmodell mit dem oben geschilderten Konfliktlösungsansatz auch auf ein mikroskopisches Modell ausgeweitet werden kann.

Auch die Robustheit profitiert

Nicht zuletzt ist mit unserem Robustheitstool ein Analysewerkzeug entstanden, das schon häufig in Beratungsprojekten erfolgreich eingesetzt wurde und wird. Das Robustheitstool beruht auf einer über die Algorithmen-Plattform erreichbaren Zugsimulation, die so für Erweiterungen offengehalten wurde, dass Kunden ihre eigenen Verspätungsverteilungen und Dispatcher einbinden können. Von unserer Seite wird in Zukunft auf Forschungsseite vor allem das Modellieren des realistischen Verhaltens von Dispatchern und deren einfache Implementierung über die Schnittstelle im Vordergrund stehen.

Die Reise geht weiter

In den letzten Jahren haben wir mit unserer Strategie #openviriato durch Beharrlichkeit und Arbeit die Grundlagen geschaffen, um in den nächsten Jahren erfolgreich zusammen mit Partnern an den Automatisierungslösungen der Bahnbranche zu arbeiten. Unsere Strategie zielt darauf ab, die heute realistischerweise lösbaren Probleme anzugehen, um die Eisenbahn in kurzer Zeit voranzubringen und Effizienzgewinne zu erzielen. Der Schlüssel zum Erfolg war für uns hierbei, dass unsere Schnittstelle für Partner und verschiedene Anwendungsfälle offen ist, welches wir durch ein abstrahiertes Domänenmodell und wiederverwendbare Services erreicht haben. Die ersten erfolgreichen Anwendungsfälle „Robustheit“, „Trassensuche“ sowie „Co-Pilot Konfliktlösung“ und sowohl die abgeschlossene wie auch die laufende Zusammenarbeit in Forschungsprojekten bestätigen uns in unserem Vorhaben.